- Medizinnobelpreis 1935: Hans Spemann
- Medizinnobelpreis 1935: Hans SpemannDer deutsche Zoologe und Mediziner erhielt den Nobelpreis für die Entdeckung des Organisatoreffekts im embryonalen Entwicklungsstadium.Hans Spemann, * Stuttgart 27. 6. 1869, ✝ Freiburg im Breisgau 9. 9. 1941; 1908-14 Direktor des zoologischen Instituts der Universität Rostock, 1914-19 zweiter Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Biologie in Berlin-Dahlem, 1919-35 Professor an der Universität Freiburg; Mitbegründer der modernen experimentellen Embryologie.Würdigung der preisgekrönten LeistungAls Hans Spemann für seine bahnbrechenden Entdeckungen auf dem Gebiet der Embryologie 1935 mit dem Nobelpreis geehrt wurde, wurde dies in der wissenschaftlichen Welt einhellig als längst überfällig begrüßt. Außerhalb derselben waren die Reaktionen allerdings sehr zwiespältig. Das lag zum einen daran, dass das Forschungsgebiet, die Embryologie, von der Bevölkerung weitestgehend unverstanden blieb. So verwundert es nicht, dass die »New York Times« anlässlich der Verleihung fälschlicherweise verbreitete, ein Ei enthielte bereits die vollständige Anlage zu einem Organismus (ohne das genetische Material des Spermiums zu benötigen), oder dass die »Berliner Illustrierte Zeitung« schrieb, Spemann könne Zwillinge nach Belieben herstellen. Neben den Schwierigkeiten, Spemanns Arbeiten richtig zu verstehen und würdigen zu können, sorgte noch ein anderer Umstand für Irritationen: die Ehrung eines Deutschen 1935, zwei Jahre nach Hitlers Machtergreifung und damit in einer Zeit, in der die Welt mit äußerstem Argwohn auf Deutschland blickte, das im Begriff war, sich von einer Demokratie in ein totalitäres System zu verwandeln.Hans Spemann war der älteste Sohn einer einflussreichen Stuttgarter Familie. Sein Vater, Wilhelm Spemann, besaß ein bekanntes Verlagshaus, und sein Sohn sollte in seine Fußstapfen treten. Hans Spemann arbeitete jedoch nur ein Jahr im Verlag und begann danach ein Studium der Naturwissenschaften, das ihn über Heidelberg und München schließlich nach Würzburg führte, wo auch seine Karriere als akademischer Lehrer begann. Von Würzburg wechselte er an das zoologische Institut der Universität Rostock, wo er als Institutsdirektor insgesamt sechs Jahre verbrachte. Seine wissenschaftlich ergiebigste Zeit kam für Spemann, als er 1914 zweiter Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts in Berlin wurde. Schon in Würzburg hatten Spemann Fragen der Embryologie beschäftigt. Sein Interesse wurde durch das Buch des deutschen Wissenschaftstheoretikers August Weismann, »Das Keimplasma: Eine Theorie der Vererbung« angeregt.Schnürversuche mit EiernWeismann hatte zur embryonalen Entwicklung zwei Hypothesen: Zum einen könnte eine Zelle im Lauf ihrer Entwicklung genetisches Material verlieren, was ihre Ausbildung in eine spezifische Körperzelle bestimmt. Zum anderen könnte jede Zelle das gesamte genetische Material behalten (genetische Äquivalenz), und nur eine unterschiedliche Nutzung desselben würde ihre Differenzierung bestimmen.Hans Spemann benutzte feines Babyhaar vom Kopf seines Sohns, um Salamandereier damit in zwei Hälften zu schnüren. Er konnte zeigen, dass sich aus jeder Hälfte ein vollständiger Embryo entwickelte und nicht etwa nur ein halber. So bewies er, dass Weismanns zweite Hypothese richtig war. Später zeigte er, dass auch Zellen, die man von amphibischen Embryonen im Zwei- oder Mehrzellstadium getrennt hatte, sich immer noch in einen vollständigen Embryo entwickelten, dass also auch in späteren Entwicklungsstadien die Zellkerne immer noch das gesamte genetische Material enthalten.Danach wandte sich Spemann einem anderen Problem in der Embryogenese zu: Er wollte wissen, ob sich Gewebe unabhängig voneinander zu einem Embryo entwickeln oder ob ihre Differenzierungen einander bedingen. Zu diesem Zweck studierte er die Entwicklung des Auges bei Froschembryos. Spemann wusste bereits, dass sich eine undifferenzierte Augenanlage aus dem embryonalen Gehirn heraus entwickelt, die später die Netzhaut bildet. Diese Augenanlage berührt im Lauf der Embryogenese von innen die äußere Haut des Kopfs, die sich dann nach innen wölbt und in die Augenlinse umformt. In seinen Experimenten zerstörte Spemann die Augenanlage und stellte fest, dass daraufhin auch die Ausbildung der Linse ausblieb. Dann gelang es ihm, die Augenanlage vom Gehirn in die Seite des Embryos zu transplantieren, und er beobachtete dort die Ausformung einer Augenlinse. Daraus schloss er, dass die Augenanlage einen Stimulus für die Ausbildung der Augenlinse liefert, der nicht nur als Auslöser wirkt, sondern auch Instruktionen enthalten muss. In Rostock setzte Spemann seine Studien zur Induktion von bestimmten Geweben fort. Die Ergebnisse seiner Studien lieferten wichtige Informationen für das Verständnis bestimmter Geburtsfehler.Die OrganisatorregionAls Spemann zusammen mit seiner Doktorandin Hilde Mangold in Freiburg Transplantationsexperimente zwischen Embryonen unternahm, stellte er fest, dass das transplantierte Gewebe sich in den Gewebetyp seiner Umgebung verwandelte (zum Beispiel Hirn- in Hautgewebe), von diesem also in seiner Differenzierung beeinflusst wurde. Spemann benutzte Gewebe von Embryonen unterschiedlicher Pigmentierung, sodass er anhand der Farbe die Herkunft des Gewebes nach der Ausdifferenzierung bestimmen konnte. Als er aber eine Region an der oberen Kante der Blastopore (ein embryonales Entwicklungsstadium) auf den Körper eines zweiten Embryos transplantierte, beobachtete er die Ausformung eines zweiten Gehirns und Rückenmarks und später eines gesamten Embryos. Er nannte diese Region an der Blastopore Organisatorregion. Das Organisatorgewebe bildete selbst das embryonale Skelett und veranlasste das umgebende Gewebe, sei es das eigene oder das des Wirts nach Transplantation, sich in einen vollständigen Embryo zu differenzieren. Dieses Organisatorexperiment bildete die Grundlage für Hilde Mangolds Doktorarbeit und später für Spemanns Nobelpreis. Zusammen mit Otto Mangold, Hilde Mangolds Ehemann, entwickelte Spemann in der folgenden Zeit verbesserte Techniken, um die Organisatorregion weiter zu untersuchen.Zusammen mit einem anderen Studenten, Oscar Schotté, transplantierte Spemann Gewebe zwischen zwei verschiedenen Spezies, Frosch und Salamander. Gewebe, das sich normalerweise in äußere Haut differenziert, wurde in die Mundregion des jeweils anderen Embryos transplantiert. Es entwickelten sich Salamander mit einem Froschmaul und Frösche mit dem typischen Maul eines Salamanders. Spemann schloss daraus, dass die Mundregion eindeutig Zellen dazu bringt, eine Mundöffnung zu bilden. Diese Induktion ist nicht spezifisch für die genaue Ausformung, sodass ein Froschmaul in einem Salamander entstehen kann, und sie kann offensichtlich nur das zur Differenzierung aktivieren, was im genetischen Repertoire der Zellen vorhanden ist.Spemann legte mit diesen Experimenten die Grundlage für das Verständnis der Embryogenese. Er schuf die Voraussetzungen für Forschungen zu Fragen der Organanlagen und der Ausbildung von Gliedmaßen. Sein Fach, die Embryologie, expandierte, da man sich nun nicht mehr darauf beschränken musste, anatomische Details von verschiedenen embryonalen Entwicklungsstadien nur zu beschreiben, sondern diese Fragen direkt experimentell angehen konnte. Hans Spemann ist damit einer der Urväter der modernen Embryologie.T. Ulrichs
Universal-Lexikon. 2012.